Belastungen für Freiwillige durch Pandemie deutlich gestiegen

  • Trotz Mehrbelastung wollen zwei Drittel der ehrenamtlichen Einsatzkräfte ihr Engagement zukünftig im gleichen Ausmaß beibehalten – 20 Prozent sogar intensivieren.
  • Gefährdungs- bzw. Risikopotenzial bei Dienstausübung und Aggressionspotenzial innerhalb der Bevölkerung hat während der Pandemie deutlich zugenommen.
  • Um Österreichs einzigartiges Ehrenamtssystem weiterhin auf einem Spitzenniveau zu halten, müssen die Rahmenbedingungen weiter verbessert werden.

Die Pandemie hat das Ehrenamt in Österreich extrem gefordert. Dies zeigen die Ergebnisse der heute von der ZIVILSCHUTZAGENDA ÖSTERREICH vorgestellten Studie „Bridging the Gap – Auswirkungen der Pandemie auf das Ehrenamt“. Mit über 2.000 Befragten aus der Bevölkerung und den Blaulichtorganisationen ist die vom Marktforschungsinstitut Makam durchgeführte Analyse die bisher umfassendste Studie zu diesem Thema in Österreich.

Das Gefährdungs- bzw. Risikopotenzial für die über 3,5 Millionen freiwilligen Helferinnen und Helfer hierzulande hat während der Pandemie deutlich zugenommen. 55 Prozent der Einsatzkräfte aus Blaulichtorganisationen wie Feuerwehr oder Rotem Kreuz verspüren pandemiebedingte Verschlechterungen im Rahmen ihrer Tätigkeit und etwa 45 Prozent machten mittelbar Erfahrungen mit vor allem verbalen Übergriffen. Rund 25 Prozent der ehrenamtlichen Einsatzkräfte sahen sich in den vergangenen zwei Jahren sogar bereits persönlich mit verbalen oder körperlichen Übergriffen konfrontiert – bei der größten Rettungsorganisation des Landes, dem Roten Kreuz, sogar beinahe ein Drittel. Zudem steigt die Gefahrenlage (z.B. erhöhtes Infektionsrisiko) generell, bei Rettungskräften stärker als bei Feuerwehrleuten.

4 von 10 ehrenamtlichen Einsatzkräften haben folglich seit Beginn der Pandemie zumindest darüber nachgedacht, ihr Engagement zeitlich zu reduzieren oder gar zu beenden. Diese Rückmeldungen sind umso brisanter, als die österreichischen Feuerwehren und Rettungsdienste nur durch das freiwillige persönliche Engagement vieler Frauen und Männer flächendeckend aufrechterhalten werden können.

Die wesentlichen Gründe für eine reduzierte Motivation sind laut der Erhebung schwindender Zusammenhalt, zu wenig Anerkennung der ehrenamtlichen Leistungen durch die Politik sowie zunehmende zeitliche und körperliche Mehrbelastungen im Rahmen der Tätigkeit.

Österreichisches Ehrenamtssystem weiterhin im europäischen Spitzenfeld
Gleichzeitig verdeutlicht die Studie aber auch, dass die Pandemie die individuelle Begeisterung für die Freiwilligenarbeit nicht mindern konnte. 4 von 10 Österreicherinnen und Österreichern engagieren sich weiterhin ohne Bezahlung für das Gemeinwohl, davon 27 Prozent innerhalb einer Organisation oder eines Vereins. Rund 500.000 Menschen in Österreich sind ehrenamtlich bei einer Blaulichtorganisation wie dem Roten Kreuz oder der Freiwilligen Feuerwehr tätig. Damit sticht Österreich bei der Freiwilligenarbeit im internationalen Vergleich hervor. Im EU-Durchschnitt betätigen sich nur rund 23 Prozent ehrenamtlich.

Trotz Corona-Krise sind zwei Drittel der ehrenamtlichen Einsatzkräfte bereit, in Zukunft ein gleich großes Pensum ihrer Tätigkeit zu erfüllen. Rund 20 Prozent wollen ihr zeitliches Engagement in einer Einsatzorganisation zukünftig sogar erhöhen. Dies unterstreicht den besonders starken Zusammenhalt in der Bevölkerung trotz, oder gerade wegen der Pandemie.

Was es aus Sicht der Einsatzkräfte laut den Ergebnissen der Erhebung aber vor allem braucht, ist mehr Unterstützung durch die Politik, den Schutz der ehrenamtlich Tätigen während der Einsätze sowie Aufklärungsarbeit und einen breiten gesellschaftlichen Diskurs zu der enormen Relevanz des Freiwilligensystems für den Standort. Um auch weiterhin Europameister im Ehrenamt zu bleiben, müssen die Rahmenbedingungen für Helferinnen und Helfer entsprechend ausgestaltet sein.


Ehrenamt zukunftsfit machen
„Die Ergebnisse der Studie sind ein Appell an die Politik, notwendige Maßnahmen zu setzen, um das Ehrenamt in Österreich nachhaltig abzusichern. Denn die soziale Stärke eines Landes und der Zusammenhalt innerhalb der Zivilgesellschaft zeigen sich vor allem am freiwilligen Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger. Die enorme Anzahl an Freiwilligen sowie deren Bereitschaft zu helfen, war und ist einzigartig und macht Österreich so lebenswert. Und gerade wegen der Pandemie müssen wir alles unternehmen, damit dies auch weiterhin so bleibt“, resümiert Dieter Siegel, CEO von Rosenbauer International und Initiator der ZIVILSCHUTZAGENDA ÖSTERREICH.

„Damit sich in Zukunft weiterhin Frauen und Männer bei der Feuerwehr engagieren, muss an den Rahmenbedingungen ständig gearbeitet und diese aktiv weiterentwickelt werden. Die Wertschätzung seitens der Politik hören wir bei jeder Veranstaltung. Wir brauchen aber mehr als nur Worte, es braucht vernünftige zeitnahe Umsetzungen von brennenden Themen. Die Besonderheiten des Ehrenamts werden bei vielen Entscheidungen nicht mitgedacht. Es entstehen vermeidbare Hindernisse, die unsere Arbeit unnötig kompliziert und aufwändig machen. Es müssen Hürden aus dem Weg geräumt und nicht neue errichtet werden, um dieses einzigartige System zu erhalten und zu fördern“, so Peter Hölzl, Feuerwehrvizepräsident des Österreichischen Bundesfeuerwehrverbandes und Landesfeuerwehrkommandant von Tirol.

Michael Opriesnig, Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes, ergänzt: „Die vergangenen zwei Jahre haben uns mehr als deutlich vor Augen geführt, wie unverzichtbar die engagierte Hilfe von Freiwilligen für unsere Gesellschaft ist – vor allem in Krisen- und Ausnahmesituationen sind sie eine verlässliche Stütze. Um das Ehrenamt zukunftsfit und resilient zu machen, müssen wir es in eine neue Zeit mit neuen Herausforderungen transformieren. Die Studie ist daher nicht nur ein Handlungsauftrag für die Politik, sondern auch für Unternehmen und Gesellschaft.“

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka: „Das österreichische Parlament versteht sich als Plattform für alle ehrenamtlich tätigen Menschen in unserem Land – egal, ob sich diese in Blaulichtorganisationen, in Vereinen, im Kunst- und Kulturbereich oder in der Nachbarschaftshilfe engagieren. Die Pandemie hat sehr viele Ehrenamtliche vor große Herausforderungen gestellt, deswegen ist es wichtig, vermehrt positive Anreize zu setzen. Denn gerade das unentgeltliche Engagement – fast der Hälfte aller Österreicherinnen und Österreicher – ist das unverzichtbare Rückgrat und die Seele unserer Gesellschaft.“

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